Bioökonomische Impulse – Die vier Dimensionen des Waldbaus

„Der Wald ist mehr als die Summe seiner Teile.“

Diese uralte Weisheit geht weit über Emotionen, Erinnerungen und Urängste hinaus. Wir reden von einer Komplexität und Dynamik von Waldökosystemen, die oft genug nur von Fachleuten nachvollzogen werden können. Das geliebte, geschätzte und gewollte „Mehr als die Summe seiner Teile“ hat aber auch zu einer Sprachlosigkeit der Forstpartie einerseits und zu einer Verständnislosigkeit für Waldbewirtschaftung bei Nicht-Förstern und Nicht-Waldbesitzern andererseits beigetragen. Plötzlich gibt es eine Trennungslinie zwischen „Ihr versteht das nicht“ und „Ihr macht den Wald kaputt“. Dabei brauchen wir für die ganzheitliche Betrachtung und nachhaltige Bewirtschaftung von Wäldern alle gesellschaftlichen Kräfte der menschlichen und natürlichen Existenz. Um diese zu Integrieren und wo notwendig zu versöhnen, hilft die Vergegenwärtigung der Mehrdimensionalität der Waldbewirtschaftung. Es sind Raum UND Zeit, die von einem „So ist der Wald“ zu einem „So wächst der Wald (in) der Zukunft“ führen.

Der Baum

Ausgangspunkt und Streitpunkt ist der einzelne Baum. Weil Waldbewirtschaftung immer einzelne Bäume betrifft. Sie wachsen von selbst oder eben nicht. Sie werden gepflegt oder umgeschnitten. Sie werden umarmt oder bewundert. Und fällt ein Baum wird schnell formuliert er sei 80 Jahre gewachsen und in 8 Minuten gefallen. Stimmt aber nicht! Denn nur der innerste und kleinste Teil des Baumes ist 80 Jahre alt. Ganz außen ist er nur ein Jahr oder einen Monat oder nur einen Tag alt. Verblüffend, oder?

Die Fläche

Die erste und zweite Dimension der Waldbewirtschaftung beschreiben die räumliche Ausdehnung, die Fläche des Waldes. Ein Hektar ist die grundlegende Bezugsgröße für forstwirtschaftliche Parameter wie Holzvorrat, Zuwachs, Erntemengen aber auch für Ökokennzahlen wie Baumartenverteilung, Totholzanteil und Artenvielfalt. Diese Dimensionen sind von zentraler Bedeutung insbesondere im Hinblick auf die Optimierung der Holznutzung und den Erhalt der Biodiversität, da sie leicht zu messen und durch Kartierungen, Luftbilder und GIS-Systeme leicht zu visualisieren sind.

Liegt der Fokus aber beschränkt nur auf diesen beiden Dimensionen, wird deren eingeschränkte Perspektive der Komplexität der Waldökosysteme nicht gerecht.

Die Höhe

Die dritte Dimension – die Höhe – erweitert das Verständnis des Waldes um dessen vertikale Struktur. Diese Dimension umfasst erstens die verschiedenen Stockwerke des Waldes: Dazu gehören die Bodenvegetation, die Strauchschicht und die Baumschicht, die alle eine wichtige Rolle in der Biodiversität und Funktionalität des Waldes spielen. Zweites steht die Höhe auch für die unterschiedlichen Alters- und Größenklassen der Bäume: Die Höhe reflektiert die Entwicklungsstadien der Bäume vom Samenanflug bis zu den alten, etablierten Individuen.

Die dritte Dimension verdeutlicht, dass Wälder komplexe, mehrschichtige Ökosysteme sind, in denen die vertikale Struktur eine Schlüsselrolle für Prozesse wie Lichtdurchdringung, Nährstoffkreisläufe und Habitat Bildung spielt. Die konsequente Befassung mit dieser Dimension führt über den Wachstumsprozess der Baumindividuen unweigerlich zur vierten Dimension.

Die Zeit

Die vierte Dimension fügt dem Verständnis des Waldes als beziehungsreiches Geflecht von Anhängigkeiten eine zeitliche Komponente hinzu, die die kontinuierliche Altersentwicklung und die langfristigen Dynamiken des Waldökosystems berücksichtigt. Diese Dimension ist besonders bedeutsam, da sie über die momentane Betrachtung des Waldbildes oft über Jahrhunderte hinausgeht und die historische Entwicklung sowie die zukünftige Prognose des Waldes einbezieht.

Dazu zählen die natürliche Sukzession und Regeneration: Prozesse, die über Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte ablaufen können. Und die Auswirkungen von biotischen und abiotischen Störungen oder des Klimawandels: Sie beeinflussen Struktur und Zusammensetzung von Wäldern über lange Zeiträume hinweg. Erst die Einbeziehung der vierten Dimension ermöglicht es, Wald nicht nur als statischen Zustand, sondern als kontinuierlichen Prozess zu begreifen, der durch natürliche, aber auch anthropogene Einflüsse geformt wird. Durch die Berücksichtigung der Zeitdimension können Waldbewirtschaftungsstrategien entwickelt werden, die auf eine nachhaltige Nutzung und Erhaltung des Waldes über Generationen hinweg abzielen.

Fläche * Höhe * Zeit = Waldzukunft

Die Berücksichtigung aller vier Dimensionen des Waldes ermöglicht Waldbesitzern, Forstleuten und Ökologen, ein umfassenderes und nachhaltigeres Management von Wäldern bzw. Waldökosystemen. Indem die zeitliche Entwicklung sowie die horizontalen und vertikalen Wechselwirkungen des Waldes in die Planung und das Handeln einbezogen werden, können fundierte Entscheidungen getroffen werden, die den langfristigen Erhalt der Wälder und deren Ertragskraft sichern. Eine vierdimensionale Herangehensweise ist entscheidend für die Anpassungsfähigkeit von Wäldern an klimatische Veränderungen und für deren Erhalt für zukünftige Generationen.

Fazit: Der Wald ist nicht nur „Mehr als die Summe seiner Teile“, er existiert auch „Länger als im Hier und Jetzt“.

Autor: Dipl. Forstw. Alexander Schulze